BLOG: Fachkräfte in Südniedersachsen

#133 Willkommenskultur auf Probe

veröffentlicht am 05.11.2024; Autorin: Ulrike Streicher 

Abbildung von Brot, Bier und Getreide

Willkommenskultur ist in Deutschland ein zentraler Begriff, der in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat – mehr dazu lesen Sie auch gern im #127. Willkommenskultur steht im Zentrum der politischen und gesellschaftlichen Debatten über Integration, Fachkräftemangel und Migration. Doch während sie in der Theorie als positiv und unterstützend betrachtet wird, offenbaren sich in der Praxis erhebliche Herausforderungen. Diese betreffen sowohl die Überforderung von Kommunen bei der Unterbringung von Flüchtlingen als auch den Widerstand in der Bevölkerung, der sich in Form von Bürgerprotesten gegen Flüchtlings- und Asylheime äußert. Hier zeigt sich, dass eine bloße Verkündung einer Willkommenskultur nicht ausreicht – umfassende Maßnahmen und echte Integration auf allen Ebenen sind notwendig.

Willkommenskultur in der deutschen Migrationspolitik

In Deutschland gewann der Begriff „Willkommenskultur“ vor allem im Zusammenhang mit dem drohenden Fachkräftemangel an Bedeutung. Deutschland, ein demografisch alterndes Land, steht vor der Herausforderung, seine Erwerbsbevölkerung durch Zuwanderung stabil zu halten. Die demografische Entwicklung und der bestehende Fachkräftemangel in verschiedenen Branchen haben die Relevanz der Sicherung von Fachkräften für die Zukunft der Wirtschaft verdeutlicht.

Um den Fachkräftemangel zu beheben und die Zuwanderung zu fördern, hat sich die deutsche Migrationspolitik in den letzten Jahrzehnten grundlegend gewandelt. Ein Beispiel dafür ist die Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, die 2023/2024 in Kraft trat. Diese Gesetzesänderung ermöglicht es nun nicht nur Fachkräften mit spezifischen Qualifikationen, nach Deutschland zu kommen, sondern vereinfacht auch die Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen nach der Einreise. Diese Maßnahmen sind Teil einer umfassenderen Strategie, Deutschland als attraktives Ziel für Fachkräfte zu positionieren und die Zuwanderung gezielt zu steuern.

Herausforderungen in der Praxis

Trotz der Bemühungen, eine Willkommenskultur zu etablieren, gibt es weiterhin Herausforderungen. Eine Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftung für Integration und Migration (SVR) aus dem Jahr 2013 zeigt, dass Zuwandernde in Deutschland nach wie vor Diskriminierung und Benachteiligung erfahren. Diese Benachteiligungen treten besonders bei der Wohnungssuche, auf dem Arbeitsmarkt, in Bildungseinrichtungen und bei Behörden auf. Das Integrationsbarometer des SVR aus dem Jahr 2022 bestätigt, dass nach wie vor ein Drittel der Befragten Gleichstellungshindernisse für Menschen mit Migrationshintergrund im Bildungswesen sieht.

Die zunehmende Diskussion über Rechtsextremismus in Deutschland verschärft die Situation zusätzlich. Die aktuelle Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt, dass rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland zunehmen. Besonders auffällig ist die Tatsache, dass die Einstellung gegenüber Geflüchteten stark von deren Herkunft abhängt. Während Geflüchtete aus der Ukraine positiver wahrgenommen werden, stoßen Geflüchtete aus anderen Regionen auf weniger Akzeptanz.

Stabilität der Willkommenskultur trotz Skepsis

Trotz der genannten Herausforderungen bleibt die Willkommenskultur in Deutschland weitgehend stabil. Die Studie Willkommenskultur in Krisenzeiten der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2023 zeigt, dass 78 Prozent der Befragten die kommunale Haltung gegenüber Arbeitsmigranten als positiv wahrnehmen, während 73 Prozent die Bevölkerung als unterstützend einschätzen. Dies deutet darauf hin, dass die steigende Skepsis gegenüber Migration eher auf Sorgen über die Integrationskapazitäten zurückzuführen ist als auf eine grundsätzliche Ablehnung von Migranten.

Viele Befragte erkennen nach wie vor die wirtschaftlichen Vorteile der Migration an. 63 Prozent sind der Meinung, dass Zuwanderung wichtig für die Ansiedlung internationaler Firmen ist, und 62 Prozent glauben, dass Migration zur Verringerung der Überalterung der Gesellschaft beiträgt. Diese positiven Ansichten unterstreichen die Rolle der Willkommenskultur als Motor für die wirtschaftliche und demografische Stabilität Deutschlands.

Dennoch zeigt sich ein gewisser Trend: Während positive Einschätzungen zur Migration in den letzten Jahren stabil waren, zeigen die Befragungsdaten von 2023 einen Anstieg der Bedenken hinsichtlich der Folgen der Zuwanderung. Die Erwartungen an problematische Auswirkungen, wie zusätzliche Belastungen für den Sozialstaat und Konflikte zwischen Einheimischen und Zugewanderten, bewegen sich wieder auf das Niveau von 2017. Auch die Sorge um Wohnungsnot in Ballungsräumen ist gestiegen.

Im Gegensatz dazu hat sich die Zuversicht in Bezug auf die wirtschaftlichen Vorteile von Zuwanderung verringert. Die Überzeugung, dass Zuwanderung der Rentenversicherung Mehreinnahmen bringt, ist auf 38 Prozent gesunken, während nur noch 47 Prozent glauben, dass Migration den Fachkräftemangel ausgleicht. Dennoch bleibt die Ansicht, dass Zuwanderung das Leben in Deutschland bereichert, stabil bei 61 Prozent.

Diese Entwicklungen deuten darauf hin, dass die Wahrnehmung der Migration und deren Auswirkungen stark von aktuellen Ereignissen und Krisen beeinflusst wird.

Das Abwanderungsverhalten von Zugewanderten

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Willkommenskultur ist das Abwanderungsverhalten von Zugewanderten. Datenanalysen zeigen, dass viele Migranten innerhalb von vier Jahren nach ihrer Ankunft in Deutschland wieder auswandern. Besonders betroffen sind junge, erwerbsfähige Personen, die häufig in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Gründe für diese Abwanderung sind oft unsichere Arbeitsverhältnisse und mangelnde Integration.

Die Aufenthaltsdauer und das Herkunftsland spielen ebenfalls eine Rolle bei der Abwanderung. Zugewanderte aus den alten EU-Mitgliedsländern zeigen eher eine Abwanderungsabsicht als solche aus den neueren EU-Mitgliedsländern und Entwicklungsländern. Um diese Abwanderung zu verhindern, ist es notwendig, die Willkommenskultur weiter zu stärken und die Integration von Zugewanderten zu verbessern.

Fazit

Willkommenskultur ist ein unverzichtbarer Schlüssel für die erfolgreiche Integration und die Sicherung des Fachkräftebedarfs in Deutschland. Sie muss jedoch nicht nur in politischen Debatten thematisiert, sondern auch in der Praxis umfassend umgesetzt werden. Dazu gehören Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung, zur Verbesserung der Arbeitsmarktintegration und zur Schaffung von attraktiven Lebensbedingungen für Migranten. Nur so kann die Willkommenskultur ihre volle Wirkung entfalten und dazu beitragen, die demografischen und wirtschaftlichen Herausforderungen in Deutschland zu bewältigen.

Südniedersachsen hat sich mit dem neuen Projekt rund um das regionale Welcome Centre aufgemacht, die eigene Willkommenskultur zu verbessern, so soll der Titel des Vorhabens zugleich Programm sein, „Mehr Willkommenskultur wagen“. Hierzu lesen Sie hier gerne mehr dazu.

 

Ansprechpartner:

Dr. Benjamin W. Schulze Bereichsleiter Fachkräfte und Willkommenskultur T. 0551/270713-43 mailen

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